REGULATIONEN
für Tissue Engineering und Autologe Chondrozytentransplantation

(Vorschlag an den Vorstand der ÖGO durch den AK BIOTEK)


Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer

 

A. Einleitung | B. Indikationen für die ACT | C. Qualitätssicherung Transplantatbiologie | D. Operationstechnik der Defektpräparation | E. Die Nachbehandlung | F. Ergebnisevaluation nach Knorpeltransplantation | G. Richtlinien zur Einführung neuer Verfahren | H. Forschungsorientierte Weiterentwicklung des Standes der Technik | I. Richtlinien bei der Etablierung neuer OP-Techniken | Glossar
 

A. Einleitung

Vorwort

Von der Fachgesellschaft ÖGO wurde eine Arbeitskreis mit der Bezeichnung BIOTEK - Biotechnologie Tissue Engineering und Knochenbank - gegründet. Die Aufgabe dieser Arbeitskreises (Ak) ist es, Empfehlungen und Leitlinien für die Anwendung der ACT auf dem aktuellen wissenschaftlichen und klinischen Kenntnisstand zu geben. Ferner entwickelt diese Arbeitsgemeinschaft Empfehlungen zu Kriterien der Wirksamkeit und Sicherheit für die Weiter- und Neuentwicklung von Verfahren für den biologischen Gewebeersatz. Bestehende arzneimittelrechtliche Sicherheitsbestimmungen überwachender Behörden werden durch die Empfehlungen der AG nicht berührt sondern nur ergänzt.

Das folgende Positionspapier der AG zur ACT enthält basierend auf den bisher gemachten Erfahrungen, neben Empfehlungen zur Indikation und operativen Technik, Leitlinien zur Überwachung der Transplantatqualität, Nachbehandlung, Nachuntersuchung und zur Dokumentation.

Nach Meinung des AK besteht ein dringender Handlungsbedarf bei der Aufstellung solcher Leitlinien, da von Exekutivorganen und Verwaltungsinstanzen, von EU-Kommissionen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen zur Zeit Anstrengungen unternommen werden, das gesamte Gebiet des "Tissue Engineering" zu reglementieren. Diese Regelwerke entsprechen in vielen Punkten nicht den Interessen der Patienten oder dem Sachverstand der behandelnden Ärzte, sondern reflektieren den Sicherungsbedarf von Behörden und kommerzieller Interessen privatwirtschaftlicher Einrichtungen. Nach Meinung des AK genügen jedoch in vielen Situationen die vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Abdeckung rechtlicher Implikationen.

Vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse wurden zell- und molekularbiologische Anforderungen definiert, die ein zur klinischen Anwendung angezüchtetes autologes Chondrozyten-Transplantat mindestens erfüllen sollte, damit eine qualitativ hochwertige Knorpelregeneration in der Defektzone zu erwarten ist.

Darüber hinaus hat der AK einen Maßnahmenkatalog festgelegt, der vor der klinischen Etablierung weiterentwickelter biotechnologischer Verfahren zum artifiziellen Gewebeersatz zur Gewährleistung von Verfahrenssicherheit und -qualität abgearbeitet werden sollte. Um die dynamische Entwicklung im Bereich des Tissue Engineerings zu unterstützen, sieht es die Arbeitsgruppe als eine ihrer weiteren Aufgaben an, Forschungsprojekte zur Verfahrensweiterentwicklung und Qualitätssicherung in Verbindung mit potentiellen Drittmittelgebern zu fördern. Dies beinhaltet nach Auffassung der AG nicht nur Projekte zur Weiter- oder Neuentwicklung von biologischen Transplantaten, sondern auch solche zur Verbesserung von Diagnostik und Verlaufskontrolle. Des weiteren sieht die AG zusätzlichen Forschungsbedarf in der Verbesserung bestehender Methoden zur präoperativen Identifizierung eines geeigneten bzw. ungeeigneten Empfängerlagers für biologische Transplantate.

Wissenschaftliche Grundlagen der ACT

Verletzungen des Gelenkknorpels beim Erwachsenen stellen nach wie vor ein großes Problem im traumatologisch-orthopädischen Alltag dar. Das eingeschränkte Heilungsvermögen des hyalinen Knorpels ist seit langem bekannt und ist im wesentlichen in seiner besonderen Struktur und Anatomie begründet. Hyaliner Knorpel besitzt keinen direkten Zugang zu gewebsspezifischen regenerativen Zellpopulationen. Nach seiner Verletzung bleiben daher in der Regel Immigrationsprozesse und Vermehrungsschritte von spezialisierten Vorläuferzellen in der Defektzone aus. Das Fehlen dieses wichtigen und frühen Teils einer intrinsischen Regenerationsantwort führt wiederum, abhängig von der Art und dem Ausmaß der Gelenkschädigung, zu einem vollständigen Ausbleiben der Defektauffüllung oder zu einer Auffüllung mit fibrösem Ersatzgewebe. Die biomechanischen Eigenschaften eines solchen minderwertigen Narbengewebes sind in erheblichem Maße herabgesetzt. Ein Schaden an der Gelenkoberfläche, vor allem im Bereich der Belastungszone der Gelenklauffläche, birgt daher das erhöhte Risiko einer weitergehenden Gelenkschädigung im Sinne einer frühzeitigen Arthrose.

Die derzeit im klinischen Alltag eingesetzten Verfahren zur biologischen Rekonstruktion eines vollschichtigen Knorpelschadens, wie z.B. knochenmarkstimulierende Verfahren oder die Mosaikplastik, besitzen ein begrenztes Indikationsspektrum und sind meist nur für kleinere bis mittlere Defektgrößen geeignet. Bei vollschichtigen Knorpelschäden, vor allem im Bereich des Kniegelenks, mit mehr als 3-4 cm2 Defektausbreitung, findet daher zunehmend die Autologe-Chondrozyten-Transplantation (ACT) klinische Anwendung.

Diese relativ neue Methode mit biotechnologischem Verfahrensanteil, beinhaltet mehrere Teilschritte in der nachstehend aufgeführten Reihenfolge:

  1. die arthroskopische Entnahme eine Knorpelbiopsats aus einem nicht-tragenden Gelenkanteil
  2. die Isolation der Knorpelzellen aus dem Biopsat und ihre Anzucht in der Zellkultur
  3. die Retransplantation der angezüchteten Zellen in die Knorpeldefektzone während eines Zweiteingriffs
  4. die Nachbehandlung und Kontrolle

Die ersten von Brittberg et al. 1994 im New England Journal of Medicine veröffentlichten klinischen Ergebnisse zur ACT waren vielversprechend, weshalb diese Arbeit, nicht nur in der Fachwelt, auf ein enormes Interesse stieß. Seit dieser Zeit wurden eine Reihe weiterer wissenschaftlicher und klinischer Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht, die jedoch zum Teil über ganz unterschiedliche klinische und insbesondere histologische Ergebnisse nach ACT berichten. Aus der Summe der unterschiedlichen Untersuchungen wurde deutlich, dass der therapeutische Erfolg und das zu erwartende Rekonstruktionsergebnis dieses Verfahrens von einer Reihe, zum Teil sehr unterschiedlicher Einzelfaktoren abhängt.

Sinn des vorliegenden Positionspapiers ist es, Durchführungsempfehlungen für die ACT zu geben die sich unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erkannten Einflussgrößen hieraus ableiten. Unter Einhaltung der nachfolgend aufgeführten Indikations- und Qualitätskriterien stellt die ACT ein wirksames Verfahren für die Behandlung vollschichtiger Knorpeldefekte dar.

 

B. Indikationen für die ACT

1. Voraussetzungen zur ACT

Folgende Grundvoraussetzungen für eine ACT sollten gegeben sein:

  • Umschriebener Defekt
  • Intakter Umgebungsknorpel
  • Intakte korrespondierende Gelenkfläche (Schädigung bis maximal Grad II nach Outerbridge ist zulässig)
  • Intakter Meniskus (Teilresektion bis max. 1/3 des Gesamtvolumens ist zulässig)
  • Maximal 2 unabhängige Defekte, die nicht korrespondieren (keine "kissing leasons")
  • Intakte Bandführung, physiologische Beinachse
  • Freie Gelenkbeweglichkeit
2. Patientenalter

Aufgrund des noch vorhandenen intrinsischen Regenerationspotentials bei Kindern (15-18 J.) sollte eine ACT bis zum Abschluss des Wachstums nicht angewendet werden. Als radiologisches Kriterium dient der Schluss der Epiphysenfugen. Als obere Grenze wird ein biologisches Alter von ca. 50 Jahren festgelegt.

3. Defektgrad nach Outerbridge

Die Indikation zur ACT sollte nur bei Defekten Grad III und IV nach Outerbridge gestellt werden.

4. Defektgröße

Aufgrund der guten Behandlungsmöglichkeit kleinerer Knorpelschäden mit alternativen Therapieverfahren, wie z.B. Knorpel-Knochentransplantation, Mikrofrakturierung, etc. wird eine Defektgröße ab 3,0 cm_ präparierte Defektzone (bzw. ab ca. 2,5 cm_ nicht präparierte Defektzone) bis Defektgrößen von ungefähr 10 cm_ als geeignet für die ACT angesehen.

5. Defektlokalisation

Kniegelenk: Mediale und laterale Femurkondyle, Trochlea, Patella
OSG: Defekte am Talus

Die Arbeitsgruppe sieht gegenwärtig keine Indikation bei der Behandlung von Knorpelschäden an der medialen und lateralen Tibiagelenkfläche und an der medialen und lateralen Taluskante, wenn dort keine ausreichende Knorpelschulter mehr vorhanden ist. Bei der Behandlung von Knorpelschäden in anderen Gelenken z.B. Schulter, Hüfte, Ellenbogen, Hand-, Finger-, und Zehengelenke liegen bisher keine ausreichenden klinischen Ergebnisse vor, so dass hier die Anwendung der ACT derzeit nicht empfohlen werden kann.

6. Defekttiefe

Als optimal wird eine intakte subchondrale Knochenlamelle am Defektgrund angesehen.

Tiefe knöcherne Substanzdefekte bedürfen einer vorhergehenden knöchernen Rekonstruktion. Eine MRT Untersuchung zur Beurteilung des Knorpels und des subchondralen Knochens wird vor einer ACT als notwendig angesehen.

7. Ausschlusskriterien

Anatomisch-Orthopädische Ausschlusskriterien:
  • Osteoarthrose
  • Gelenksteife
  • Arthrofibrose
  • Abweichungen von der physiol. Beinachse > 5° (Korrektur vor oder während ACT)
  • Total / subtotal resezierter Meniskus
  • Insuffiziente Bandführung (Korrektur vor oder während ACT)
  • Patellamalaligmentation (Korrektur vor oder während ACT)
  • Implantierte Carbonstifte

Internistische, neurologische und andere Ausschlusskriterien:

  • Chronische Infektionskrankheiten
  • Tumorkrankheiten
  • Metabolische Arthritis (z.B. Gicht / Pseudogicht)
  • Autoimmunologische Erkrankungen
  • Schwere neurologische Erkrankungen
  • Adipositas (>20% Body Mass Index)
  • Schwangerschaft
  • Suchterkrankungen
  • Psychische Erkrankungen mit reduzierter Compliance

8. Voroperationen

Die klinischen Ergebnisse nach zuvor durchgeführten knorpelchirurgischen Maßnahmen sollten zunächst abgewartet werden. Nach Knochenmark stimulierenden Techniken des gleichen Defekts sollte zur Regeneration der subchondralen Knochenlamelle eine Latenzzeit von mindestens 6 Monaten eingehalten werden.

9. Einordnung der ACT als Behandlungsverfahren

Die ACT ist unter Berücksichtigung der in diesem Positionspapier beschriebenen Indikations- und Durchführungskriterien als primäres Behandlungsverfahren (First Line Treatment) für größere Knorpelschäden geeignet.

 

C. Qualitätssicherung Transplantatbiologie

Eine Herstellungserlaubnis nach Arzneimittelgesetz durch die Behörden zur Chondrozytentransplantation berücksichtigt bislang nicht ausreichend die zell- und molekularbiologischen Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Transplantation notwendig sind. Wir halten jedoch eine hohe Qualität der zu transplantierenden Zellen für unabdingbar. Im folgenden werden Leitlinien dargelegt, die aber nur Minimalkriterien darstellen, auf die in Zukunft auf dem Boden weiterer Entwicklungen und Forschungsarbeiten aufgebaut werden soll.

1. Stand der Technik in der klinischen Anwendung der ACT beim Menschen

Die ACT basiert auf den folgenden vier Schritten:

  1. Entnahme von Gelenkknorpel
  2. Fragmentierung und Verdauung des Gewebes
  3. Expansion der Chondrozyten und Qualitätskontrollen
  4. Transplantation einer Zellsuspension

Es existieren unterschiedliche Protokolle zur Herstellung der Zellpräparate. Bisher gibt es kein allgemein anerkanntes Protokoll zur Herstellung der Zellsuspension. Vergleichende Untersuchungen bezüglich der unterschiedlichen Herstellungsverfahren existieren nicht. Minimalanforderungen zum Stand der Technik im Hinblick auf die Herstellung von Knorpelzellsuspensionen zu Transplantationszwecken ergeben sich wie folgt:
Stand der Technik in der klinischen Anwendung der ACT beim Menschen ist die Applikation der Zellen aus Gelenkknorpel als Suspension, ohne Trägermaterial. Stand der derzeitigen Technik zur biologischen Rekonstruktion von Defekten des Gelenkknorpels ist nicht die Verwendung von Nasen-, Rippen- oder Ohrknorpel und nicht die Verwendung von Stamm- oder Vorläuferzellen (z. B. keine Zellisolationen aus dem Knochenmark oder dem Periost). Grundsätzlich ist die Rekonstruktion aus artfremdem Knorpel ebenfalls nicht Stand der Technik. Die Verwendung von fötalem Kälberserum und anderen tierischen Rohmaterialien bei der Zellkultivierung ist zu vermeiden, da bei Verwendung dieser Komponenten die unbedingte Forderung nach Freiheit von artfremden (Serum-) Antigenen nicht eingehalten werden kann, stattdessen wird der Einsatz von autologem Serum empfohlen. Darüber hinaus können die Kulturmedien durch behördlich zugelassene, anabol wirkende Zytokine und Wachstumsfaktoren humanen (rekombinanten) Ursprungs ergänzt werden.

2. Produktsicherheit und Produktqualität

Die Produktsicherheit soll gewährleistet sein durch die Einhaltung der aktuellen Vorgaben der Zulassungsbehörden unter Berücksichtigung des Deutschen und Österreichischen Apothekengesetzes (siehe hierzu vor allem Arzneimittelgesetz, EG-Leitfaden einer guten Herstellungspraxis für Arzneimittel, GMP und GLP-Richtlinien). Den Anweisungen der überwachenden Behörden ist Folge zu leisten. Der aktuellen Rechtslage entsprechend, ist der Hersteller des Knorpelzellpräparates nicht für die Knorpelentnahme aus der juristischen Verantwortung entlassen.

3. Operative Durchführung der Entnahme von Gelenkknorpel zur ACT

Empfohlen wird die arthroskopische Entnahme des Gelenkknorpels.

Als Minimum sollten etwa 200 mg (Nassgewicht) "full thickness" Knorpel (z.B. zwei 3,5 mm Stanzzylinder) entnommen werden.

Zur Entnahme sind geeignete Intrumente (z.B. Hohlmeisel) notwendig, die bei arthroskopischen Operationen verwendet werden können. Nicht empfehlenswert sind Küretten, da hier unter Umständen nur oberflächliche Knorpel- bzw. Zellschichten gewonnen werden. Eine qualitative Beurteilung des Biopsats, insbesondere vor der Zellisolation zur eigentlichen Transplantatherstellung, ist sonst nur schwer möglich.

4. Lokalisation der Biopsatentnahme

Zu empfehlen ist die Entnahme aus dem Notchbereich, da die Entnahme hier arthroskopisch sehr einfach ist. Alternativ möglich ist die Entnahme aus dem lateralen oder medialen femoro-patellaren Gleitlager femoralseitig. Freie Gelenksfragmente bzw. abgescherte Knorpelanteile eignen sich nicht zur Anzüchtung von Zellen zur Transplantation.

Nach der arthroskopischen Entnahme sollte das entnommene Knorpelmaterial umgehend (direkt) in ein entsprechendes Transportgefäß mit steriler Nährlösung abgegeben werden. Zu vermeiden ist eine zwischenzeitliche Lagerung auf dem Op-Tisch. Die Übergabe in das Transportgefäß muss unter sterilen Kautelen erfolgen.

5. Transport des Biopsats vom Anwender ins Expansionslabor

Ein längeres Lagern des Biopsats sollte möglichst vermieden werden, das heißt die Entnahme und der Transport sollten so koordiniert werden, dass der Zeitraum zwischen Entnahme und Weiterverarbeitung im Labor so kurz wie möglich gehalten wird (<24 Stunden).

Zusammenfassend sollten folgende Punkte bei der Knorpelentnahme zur Qualitätskontrolle beachtet werden:

  • Arthroskopische Entnahme, Inspektion der Entnahmestelle und Prüfung seiner
  • mechanischen Stabilität
  • Entnahme des Knorpels mit geeigneten Instrumenten
  • Entnahme einer Biopsie mit allen Knorpelschichten ("full-thickness"- Knorpel)
  • Transport unter Wahrung der lückenlosen Kühlkette (4-10 C°)

6. Dokumentation der Zellqualität bei Eingang in die Kultivierungsphase

Es wird empfohlen, die molekularbiologische Eingangskontrolle zur Feststellung der primären Zellqualität unmittelbar (d.h. innerhalb von 24 Stunden) nach Isolation der Zellen aus dem Knorpelgewebe durchzuführen. Anzustreben ist die Direktanalyse knorpelspezifischer Proteine. Da jedoch der quantitative Nachweis knorpelspezifischer Proteine mit den derzeit zur Verfügung stehenden Methoden unter Berücksichtigung der für die ACT gegebenen Bedingungen als problematisch anzusehen ist, wird die quantitative Analyse knorpelspezifischer messenger-RNA empfohlen. Es sollte eine vergleichende quantitative Analyse der alpha 1-Kette des Kollagen-Typ-II als knorpelspezifischer Marker gegen die alpha 2-Kette des Kollagen-Typ-I als Marker für untypische Zellpopulationen (z.B. Fibroblasten oder dedifferenzierte Chondrozyten) durchgeführt werden. Die vergleichende Untersuchung sollte nicht mehr als 5% Kollagen Typ I - spezifische messenger-RNA ergeben. Darüber hinaus soll IL-1 mRNA als ein weiterer Parameter erfasst werden, um die Anwesenheit von endogenen entzündlichen Prozessen zu dokumentieren (als eventuellen Negativausschluß).

7. Dokumentation der Zellqualität vor Transplantatausgang

Die Untersuchungsmethoden und -parameter der molekularbiologischen Ausgangskontrollen sind denen der Eingangskontrollen identisch. Die durchzuführenden Ausgangskontrollen dienen der Prozessvalidierung des für die Transplantatherstellung verwendeten in vitro Verfahrens. Neben den molekularbiologischen Qualitäts-untersuchungen ist eine Vitalitätskontrolle notwendig (z.B. mittels Trypanblaufärbung). Die Vitalität der expandierten Zellen für deren Retransplantation muss mindestens 80 % betragen. Die erhobenen zell- und molekularbiologischen Untersuchungsergebnisse müssen dem Anwender zur Verfügung gestellt werden.

Als begleitende Maßnahme kann ein Testaliquot der expandierten Zellen durch Kultivierung in einem geeigneten dreidimensionalen Kultursystem auf das Redifferenzierungspotential geprüft werden und als langfristiges Qualitätsmerkmal der in vitro Expansionsbedingungen protokolliert werden.

8. Rücktransport der Zellen zum klinischen Anwender

Beim Rücktransport der angezüchteten Zellen zum klinischen Anwender in den OP gelten die gleichen Bedingungen wie die für den Transport des Biopsats vom Anwender ins Expansionslabor. Der Zeitraum zwischen Zellernte und Retransplantation muss so kurz wie möglich gehalten werden (<24 Stunden). Der Transport muss unter sterilen Bedingungen und unter Wahrung einer lückenlosen Kühlkette erfolgen. Das verwendete Transportmedium und -verfahren dürfen die vor Transplantatausgang festgestellte Zellvitalität und -qualität nicht wesentlich verschlechtern. Auch sollte das Zelltransplantat im OP nicht in der Nähe von Strahlungsquellen, z.B. Bildwandler, gelagert werden.

 

D. Operationstechnik der Defektpräparation

Zur Defektpräparation ist eine Arthrotomie des Kniegelenkes in den meisten Fällen notwendig. Eine arthroskopische Defektpräparation oder eine Präparation über eine Miniarthrotomie ist möglich.

Die Defektpräparation muss sehr sorgfältig durchgeführt werden. Die Ränder sollten hierbei möglichst glatt und im rechten Winkel präpariert werden. Die präparierten Defektränder müssen nach allen Seiten von stabilem Knorpel begrenzt sein. Der Defektboden darf bis auf den subchondralen Knochen reichen. Der subchondrale Knochen muss vollständig von Knorpelersatzfasergewebe befreit werden, die subchondrale Knochenplatte sollte nicht durchbrochen werden. Sollte dies versehentlich jedoch eintreten, so muss die Blutung gestillt werden. Hierzu stehen folgende Verfahren, die auch in Kombination angewendet werden können, zur Verfügung:

  1. Unterspritzung mit Adrenalinlösung
  2. Abdichtung mit Fibrinkleber
  3. Impaktion des Knochenkanals

1. Abdichten des Defektes:

Zur Abdeckung des präparierten Defektbereiches stehen zur Zeit zwei Verfahren zur Verfügung.

  • Verwendung eines körpereigenen Periostlappens, Entnahme an der proximalen Tibia (Standard)
  • Kollagenmembran mit CE-Norm (für diese Anwendung siehe Richtlinien bei der Etablierung neuer OP-Techniken)
  • Zellaugmentiertes Hyaluronatvlies (Etablierung neuer OP Techniken)

2. Periostlappen

Als Standardverfahren sollte die Entnahme an der proximalen Tibia erfolgen. Anschließend erfolgt die Aufnaht des Periostlappens zur vollständigen Abdichtung mit resorbierbaren atraumatischem Faden passgerecht und oberflächenadaptiert. Die Aufnaht kann mit Einzel- und fortlaufender Naht erfolgen, die Knoten der Naht sollten auf dem Periostlappen liegen.

Am proximalen Defektpol wird ein kleines Loch belassen, in welches eine periphere Venenverweilkanüle der Größe 14 eingelegt wird. Die gesamte Naht kann mit Fibrinkleber nochmals abgedichtet werden. Mit Kochsalzlösung muss überprüft werden, ob der Defekt wasserdicht durch den Periostlappen abgedichtet ist. Bei bestehendem Wasseraustritt wird eine zusätzliche Naht in Einzelknopftechnik angebracht, eventuell nochmalige Fibrinversiegelung der betroffenen Austrittsstelle. Das Gelenk wird mehrfach durchbewegt um zu sehen, dass der Periostlappen oder die Kollagenmembran keinen Schaden nimmt. Erst wenn der Defekt vollständig wasserdicht abgedichtet ist und die Kochsalzlösung abgezogen wurde erfolgt die Injektion der Zellen in die Defektkammer.

Die Aufnahme der Zellen aus den speziellen Transportgefäßen muss unter sterilen Bedingungen erfolgen. Durch vorsichtiges Schütteln oder mehrfaches vorsichtiges Aufziehen der Zellsuspension ist darauf zu achten, dass sich die Zellkonglomerate in der Suspension vor der Transplantation wieder auflösen.

Abschließend Einlage einer Redondrainage ohne Sog sowie schichtweiser Wundverschluss.

 

E. Die Nachbehandlung

Die weitere Nachbehandlung richtet sich nach der Lokalisation des Defektes.

Bei Transplantation eines Defektes an den Femurkondylen sollte das Kniegelenk für 6 Wochen nicht mehr als 90° gebeugt werden. Eine Teilbelastung mit 10-20 kg Körpergewicht sollte für 4-6 Wochen eingehalten werden. Nach weiteren 2 Wochen kann zur Vollbelastung übergegangen werden. Begleitende physiotherapeutische Maßnahmen sind sinnvoll (z.B. EAP). Eine sportliche Betätigung durch nicht kniebelastende Diziplinen (z.B. Schwimmen) ist nach Ablauf von drei Monaten möglich.

Sofern die Wundschmerzen des Patienten dies zulassen, ist bei retropatellaren Defekten oder Defekten im Trochleabereich eine rasche Vollbelastung nach ACT möglich. Eine Limitierung der Gelenkbeweglichkeit sollte für 4-6 Wochen beibehalten werden. Initial darf bis 30° flektiert werden, die Beugung wird dann im 14 Tage Intervall um jeweils 30° gesteigert.

 

F. Ergebnisevaluation nach Knorpeltransplantation

Eine wichtige Zielsetzung der Ergebnisevaluation nach ACT ist die Erfassung von Komplikationen und Therapieversagern verbunden mit der Analyse ihrer möglichen Ursachen (z.B. Zellqualität, falsche Indikationsstellung). Hierdurch soll die klinische und damit die letztendlich ausschlaggebende Qualitätssicherung des Verfahrens gewährleistet werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt empfehlen wir zur Dokumentation und Verlaufskontrolle die Anwendung des von der ICRS erstellten Score präoperativ und 1 Jahr nach stattgefundener Transplantation. Die Ergebnisevaluation sollte hierbei die in diesem Zusammenhang von der ICRS beschriebenen subjektiven, semiobjektiven und objektiven Parameter umfassen. Intraoperativ auftretende Komplikationen (z.B. undichter Periostlappen, auftretende Blutungen, u.a.) müssen zusätzlich genau erfasst und dokumentiert werden.

Zur morphologischen Kontrolle der Defektregeneration empfehlen wir die Durchführung einer MRT Untersuchung 1 Jahr nach durchgeführter Transplantation. Hierzu sollten knorpelspezifische Sequenzen verwendet werden. Zu empfehlen sind T2 - und protonengewichtete Aufnahmen sowie für Magnetfeldinhomogenitäten sehr sensible Spinechosequenzen.

1. Second look Arthroskopie

Die Durchführung einer Kontrollarthroskopie (Second look) ist nur bei entsprechenden Komplikationen oder im Einzelfall bei ethisch vertretbaren Indikationen aufgrund einer wissenschaftlichen Fragestellung nach gründlicher und spezifischer Aufklärung des Patienten zu empfehlen!

2. Histologie

Sofern bei einer Second look Arthroskopie eine Biopsie entnommen werden kann, so ist die Histologie eine zeitliche Momentaufnahme einer willkürlich gewählten Lokalisation aus dem Transplantatbereich. Zur Verbesserung der Wertigkeit des Ergebnisses sollte die Beurteilung von mindestens 2 unabhängigen Untersuchern erfolgen.

Eine Biopsientnahme bzw. histologische Untersuchung vor Ablauf von mindestens einem Jahr nach Transplantation ist nicht sinnvoll.

Die Entnahme einer Biopsie darf max. mit einer 2 mm Kanüle mit der ein ca. 1cm langer Knorpel-Knochenzylinder gewonnen wird erfolgen. Die Klassifizierung bzw. Auswertung erfolgt nach dem Manking-Score.

 

G. Richtlinien zur Einführung neuer Verfahren

Schon jetzt gibt es zahlreiche Modifikation zur Standardmethode der ACT. Bei jeder wesentlichen Modifikation klinisch in Anwendung befindlicher Verfahren oder vor der klinischen Etablierung neuer Verfahren (z.B. Einsatz von Matrices, Wachstumsfaktoren, usw.) zur Behandlung von Gelenkknorpeldefekten sollten die nachfolgenden Einzeluntersuchungen durchgeführt werden. Dies dient einer an sich selbstverständlichen Absicherung der angestrebten Verbesserung der biologischen Wirksamkeit und Anwendungssicherheit eines modifizierten oder neuen Verfahrens. Die vom Gesetzgeber hierzu gemachten Vorgaben bleiben von dieser Empfehlung unberührt.

1. In vitro - Untersuchung des Wachstums- und Differenzierungsverhaltens von Chondrozyten unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Kriterien der Qualitätsdokumentation.

2. Im Tiermodell (an skelettreifen Tieren) - Untersuchung des Wachstums- und Differenzierungsverhaltens von Chondrozyten unter Beachtung der oben beschriebenen Kriterien der Qualitätsdokumentation. Untersuchung des Langzeitverhaltens (>6 Monate) des Transplantats. Untersuchung der immunologischen Reaktionen im Tier (knorpelspezifische Antigene). Histologische Untersuchung und Mechanische Testung des regenerierten Gewebes.

3. Pilotstudie am Menschen - Möglichst Verwendung wenig invasiver Testverfahren. Untersuchung des Langzeitverhaltens (> 12 Monate) des Transplantats. Untersuchung der immunologischen Reaktionen (knorpelspezifische Antigene), wenn möglich kontrollierte prospektive Vergleichsstudien.

4. Konfirmatorische Studien - Langfristige Erfolgskontrolle durch regelmäßigen Kontakt mit dem Patienten. Es sollte eine validierte Erfassung und Dokumentation erfolgen.

 

H. Forschungsorientierte Weiterentwicklung des Standes der Technik

Als Bestandteil der konfirmatorischen Studien wird empfohlen, den Stand der Technik durch konsequente Weiterentwicklung zu verbessern. Die Förderung dieser klinikorientierten Forschung wird den Forschungsfördereinrichtungen der Bundesrepublik ganz nachdrücklich empfohlen. Dabei sollten folgende Maßnahmen besonders unterstützt werden:

  • Verbesserung der diagnostischen Verfahren zur Verlaufsbeurteilung der Knorpelreparatur
  • Entwicklung von neuen Techniken zur sicheren Applikation der Knorpelzellen
  • Entwicklung von Verfahren zur minimal invasiven Applikation der Zellen
  • Entwicklung von Verfahren zu Verbesserung der präoperativen Identifizierung eines geeigneten bzw. ungeeigneten Empfängerlagers

 

I. Richtlinien bei der Etablierung neuer OP-Techniken

Grundlage von Modifikationen der OP-Technik ist die oben geschilderte Standardtechnik in Bezug auf die Defektpräparation und die Abdeckung des Defektes. Technische Modifikationen sollen und müssen zur Weiterentwicklung möglich sein. Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang die matrixgekoppelte ACT genannt.

Bei diesem Verfahren erfolgt die Abdeckung des Defektes mit einer Kollagenmembran. Diese ist bereits mit angezüchteten autologen Chondrozyten beladen. Eine zusätzliche wasserdichte Abdeckung ist aus diesem Grunde nicht mehr erforderlich. Die Membran wird mit Fibrinkleber nach entsprechendem Zuschnitt in den Defekt eingeklebt

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass diese Richtlinien in Zukunft jährlich überarbeitet werden.

 

Glossar

Da in einigen Punkten die Definition von Begriffen unterschiedlich ist, je nachdem ein Begriff in der biologischen Grundlagenforschung oder in der Medizin verwendet wird, soll das Glossar einige zentrale Begriffe definieren.

Begriff Zellbiologie Medizin
Arthroskopie nicht verwendet Gelenkspiegelung, evtl. kombiniert mit mikrochirurgischem Eingriff
Biopsie lebende Gewebeprobe Gewebeprobe Chondrozyt (chondrocyte) ausdifferenzierte nicht proliferierende Knorpelzelle, synthesiert nur knorpelspezifische Kollagene (Chondroblast (embryonal) proliferierend) im allgemeinen keine Unterscheidung zwischen Chondroblast und Chondrozyt
Dedifferenzierter Chondrozyt (dedifferentiated chondrocyte) Chondrozyt, der auch fibroblasten-typische Morphologie und Endprodukte aufweist, aber unter optimierten Kulturbedingungen wieder revertieren kann keine Entsprechung
DNA-Array auch Genchip genannt; enthält DNA-Äquivalente exprimierter Gene ("cDNAČ) dito
ELISA quantitativer Antigen- bzw. Antikörpernachweis auf immunologischer Basis dito
Entzündung durch Zytokine vermittelte gelegentlich auch makroskopisch symptomfreie Stoffwechsellage von Zellen klinisch overte pathologische Stoffwechsellage, charakterisiert durch die Parameter: erhöhte Temperatur, Rötung, Schwellung, Funktionsverlust
Explantat (explant) Gewebeprobe für die in vitro Kultivierung lebende Gewebeprobe
Fibroblast, auch seltener Fibrozyt (fibroblast, fibrocyte) Zelle des lockeren und straffen Bindegewebes, des Granulationsgewebes und des Narbengewebes dito
Glykosaminoglykane (glycosaminoglycans) teilweise sulfatierte Polysaccharide, meist an Proteoglykane gekoppelt Ausdruck selten verwendet
hypertropher Chondrozyt (hypertrophic chondrocyte) terminal differenzierte Zelle der Wachstumsfuge auch synonym mit Hyperplasien verwendet

ICRS

Knorpelheilung (cartilage defect healing)

keine Entsprechung

International Cartilage Repair Society

beinhaltet den kompletten Wiederaufbau der strukturellen Integrität und Funktion des behandelten Knorpelareals

Knorpelregeneration (cartilage regeneration) keine Entsprechung das ersetzte Gewebe besitzt die identischen Gewebeeigenschaften wie der originäre Knorpel
Knorpelreparatur (cartilage repair) keine Entsprechung Der Ersatz des geschädigten Gewebes durch neue Zellen und Matrix, wobei die originäre Struktur und Funktion nicht unbedingt erreicht wird
Knorpelspezifisch (cartilage specific) hier ausschließlich verwendet zur Benennung von Produkten und Stoffwechselleistungen der gesunden Zelle des adulten Gelenkknorpels wird auch verwendet zur Bezeichnung von Sekundärgewebe des arthrotischen oder arthritischen Gelenkes
Kollagen (collagen) fibrilläres Protein partiell synthetisches Präparat aus Kollagen mit nur noch bedingt fibrillärer Struktur (schließt Gelatine mit ein)

Matrix (matrix)

Outerbrigde Klassifikation

extrazelluläre Proteine des Binde- und Stützgewebes

dito

Klassifikation ( Score) zur vergleichbaren Beurteilung von Knorpelschäden

PCR, RT-PCR Amplifikationsverfahren von DNA resp. mRNA dito Proteoglykane (proteoglycans) hoch glykosylierte Proteine, Zucker teilweise sulfatiert Ausdruck wird auch für proteinfreie Glycosaminoglykane verwendet
Stammzelle (stem cell) totipotente Zelle pluripotente Gewebevorläuferzelle
Vorläuferzelle (progenitor, precursor) pluripotente Gewebevorläuferzelle und niedrigdifferenzierte gewebstypische Vorläuferzelle niedrigdifferenzierte gewebstypische Vorläuferzelle

 

Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer
Universitätsklinik für Orthopädie Universität Wien, AKH, Währingergürtel 18-20, A 1090 Wien
Tel : (01) 40400-4058