PRINZIPIEN DES TISSUE ENGINEERING

Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer

 

Einleitung | Die Entwicklung des Tissue Engineering | Zellen | Biomaterialien | Regulatoren | Zusammenfassung
 

 

Einleitung

Die Behandlung von großen Gewebedefekten und Organversagen gehören nach wie vor zu den Hauptproblemen der modernen Medizin und sind oft mit tragischen Konsequenzen für den einzelnen Patienten verbunden. Die Rekonstruktion und Transplantation stellen logistisch aufwendige und teure Behandlungsmethoden dieser Defizite dar und sind mit Problemen der Spenderrekrutierung, immunologischen Reaktionen und Infektionsübertragung verbunden. Trotz der ungemeinen Erfolge dieser Methoden bleiben viele Patienten unbehandelt oder auf Grund ungünstiger, medizinischer Konstellationen der Erkrankung unbehandelbar.

Die Herstellung von artifiziellen Organen und Geweben war immer schon ein Ziel der Medizin und ist mit hohem technischen Aufwand mit gewissen Einschränkungen gelungen. Die Implantate entwickelten sich um die Jahrhundertwende von rein industriellen Materialien zu medizinisch adaptierten Produkten, und schließlich in der letzten Generation zu Implantaten mit biologisch und physiologisch adaptierten Eigenschaften, die sich optimal in das Organgefüge einpassen. Die Orthopädie hat auf dem Gebiet des Gelenkersatzes eine rasche, erfolgreiche Entwicklung genommen; so hat der Hüftgelenkersatz ausgehend von den Pionierarbeiten von Sir John Charnley zu einer routinemäßigen Versorgung von Patienten mit Hüftproblemen geführt. Trotzdem bleiben mechanische Probleme, Abnützung und Abrieb, sowie Materialermüdung wichtige Faktoren, und so manche hochgepriesene, medizintechnische Entwicklung endete in einem Fiasko von Gesundheitsschäden und Folgeoperationen für viele Patienten

Die neueste Entwicklung stellt das Tissue Engineering als Lösungsansatz dieser Probleme dar, wobei versucht wird durch Verwendung von meist autologen Zellen zusammen mit Biomaterialien als Träger- und Transportmedien, sowie unter Einwirkung von Regulatoren Gewebe und Organsysteme zu regenerieren. Immer dort wo die Heilungsprozesse des Organismuses nicht im Stande sind eine Restitution zu erreichen oder Organsysteme irreversibel geschädigt sind erscheint es sinnvoll durch biotechnologische Methoden eine Regeneration zu erreichen.

Die Entwicklung des Tissue Engineering

Die Grundlage des Tissue Engineerings stellt die Beobachtung und Analyse des Heilungsvorganges im Organismus dar. Bei traumatischer Schädigung kommt es zur Ausbildung eines Hämatoms und Blutkoagulums, in der Folge zum Ablauf einer inflammatorischen Reaktion mit kaskadenförmigen Abblauf von humoralen und zellulären Prozessen, die in der Bildung von neuem Gewebe endet. Das Blutkoagel mit dem Fibringerüst bildet das Gerüst in welches Zellen einwandern, die zu nächst in einem Granulationsgewebe Kapillaren und Bindegewebe herstellen. In der Folge versuchen spezifische Zellen- so vorhanden- die zerstörte Organstruktur zu regenerieren oder zu reparieren. In vielen Fällen, wie zum Beispiel im Knorpel, funktioniert dieser Vorgang nicht, da diese spezifischen Zellen fehlen, oder keine Möglichkeit haben aus dem angrenzenden Gewebe einzuwandern und sich festzusetzen. Somit endet der Regenerationsversuch in einer behelfsmäßigen Reparatur mit Narbengewebe; die hochspezifische Struktur ist irreversibel verloren gegangen. Das Tissue Engineering geht davon aus diesen Prozeß zu steuern und modifizieren. Die Einbringung von spezifischen gezüchteten Zellen erlaubt eine spezifische Regeneration. Die Verwendung von Biomaterialien dient zur Verteilung der Zellen und Transportmedium zum Ort des Defektes.

Durch das Freiwerden oder Zusetzen von Wachstumsfaktoren kann dieser Prozeß zusätzlich unterstützt und beschleunigt werden. Dieser zugrundeliegende Prozeß von Zell-Matrix Interaktionen kann im Einheits-Zellprozeß fest gelegt werden:

Zelle + Matrix
Produkt
 
 
Regulatoren (löslich, unlöslich)

 

Zellen

Die Verwendung von Zellen zur Behandlung von Gewebe- und Funktionsdefizit ist eng mit der Entwicklung von Techniken der Zellisolierung und Zellkultivierung verbunden. Erst die genaue Kenntnisse über den Zusammenhang von Kultivierungsbedingungen und Zellfunktion erlaubte kultivierte Zellen im Zusammenhang mit Tissue Engineering zu verwenden, und sind in der Zellbiologie des Genotyp und Phänotyp begründet. Auch dieser Vorgang kann als idealisieter Prozeß der Zellbiologie angesehen werden:

Genotyp, Phänotyp, Genetische Möglichkeiten, Funktion (Genexpression), Regulatoren, Matrix, Wachstumsfaktoren, Biomechanik, Kulturbedingungen...

Die Resourcen für die Verwendung von Zellen sind vielfältig. Einerseits können die Zellen aus Biopsaten aus gesunden Arealen des zu behandelten Gewebes gewonnen werden (zB.: Gelenkknorpel für Knorpeldefekte), anderseits können auch Gewebe mit ähnlichen Zellpopulationen (zB.: Rippenknorpel für Gelenksdefekte) biopsiert werden. Die Zellisolierung erfolgt meist enzymatisch, kann aber auch durch Auswachskultur aus dem Gewebsstück direkt erfolgen. Die enzymatische Isolierung geht rascher und effektiver ist aber mit dem Risiko der Veränderungen der Zelloberfläche und Rezeptoreneigenschaften verbunden. Andere Ansätze verwenden undiffernzierte Zelltypen wie die mesenchymalen Stammzellen zur Transplantation. Hier eröffnet sich die Möglichkeit durch entsprechende Kulturbedingungen verschiedene Gewebe durch die gleiche Zelle zu regenerieren. Stammzellen können aus dem Knochenmark gewonnen werden, oder durch das Anlegen von emmbryonalen Stammzellbänken einen Leben lang auf Vorrat liegen. Die Steuerung dieser Zellen in der Regeneration von Gewebe und Organen erweist sich aber schwierig und ist zumindest für den Bewegungsapparat noch rein experimentell.

Die Verfügbarkeit der kultivierten Zellen scheint unproblematisch, so können Knorpelzellen innerhalb kurzer Zeit vertausendfacht werden, und bei Bedarf eingefroren und zu einem späteren Zeitpunkt wieder hochgezüchtet werden. Aber auch hier muß die Beeinflussung des Phänotyps durch die Kulturbedingungen berücksichtigt werden. So verlieren Knorpelzellen in der zweidimensionalen Schalenkultur ihre chondrozytären Eigenschaften und werden fibroblastisch; erst durch Einbringen in ein dreidimensionales Kulturmedium (Matrix) werden die Eigenschaften der Knorpelzellen reaktiviert und eine Synthese knorpelspezifischer Moleküle möglich.

Biomaterialien

Die Entwicklung von Biomaterialien als Matrices für Aufgaben im Tissue engineering stellt höchste Ansprüche an die Biotechnologie. Die Testung der biologischen Eigenschaften und Matrixcharakteristika stell einen wichtigen Teil der Forschung im Tissue Engineering dar.

Tab.1: Biomaterialien- Eigenschaften und Charakteristika:

Biokompatilität Toxizität Resorptionsverhalten
Zerfallsprodukte Zellpopulation,-adhäsion Poren-, Fasergröße
Immunogenität Synthetisch, natürlich Struktur: Polymer, Ko-Polymer

Als natürliche Biomaterialien haben sich Kollagen (Vlies und Gel), Hyalurnat (Vlies), Fibrin (Gel) bewährt. Künstlich synthetisierte Masterialien sind auf Basis der Polygykole (PGA, Dexon) und -lactide (PLGA, Vicryl) hergestellt und haben sich in vielen experimentellen und klinischen Studien bewährt. Die Interaktion der kultivierten Zellen mit dem Biomaterial in-vitro und in-vivo beeinflusst das Verhalten der Zellen und damit den angestrebten Regenerationsprozeßm im Tissue engineering. Die Definition des optimalen Biomaterials ist sicher noch nicht geklärt aber soweit beurteilbar verlangen verschieden Problemstellungen unterschiedliche Biomateralien. Zum Beispiel müssen Matrices für die Rekonstruktion von Sehnen oder Nerven eine Längsorientierung von Zellen und Bindegewebsstrukturen (Kollagenfasern) erlauben, während im Knorpel der Aufbau eines dreidimensionalen Strukturgitters im Vordergrund steht.

Regulatoren

Wachstumsfaktoren (BMP), Cytokine(IL1, IL 6, TNF; IGF TGF-_..), Eicosanoide (PG, LT) und Hormone sind wichtige Spieler in der Modulation von biologischen Prozessen. Ihre Wirkung hängt oft mit dem Aktivierungszustand der Zelle und dem umgebenden Milieu ab. Diese Regulatoren können auf Matrices aufgebracht werden oder den zellaugmentierten Implantaten beigemengt werden. Andere Methoden erlauben durch gentechnologische Eingriffe die Produktion von diesen Faktoren lokal zu erhöhen und damit die Regenerationsfähigkeit von Gewebe zu steuern. Problematisch erscheint in Zusammenhang mit Regulatoren die kurze biologische Wirkdauer der Substanzen und die Auswirkung auf andere Zellsysteme, wobei derartige Nebenwirkungen wenig erforscht sind.

Zusammenfassung

Tissue Engineering beinhaltet die interdisziplinäre Zusamennarbeit von Biologie, Medizin und Technik zur Behandlung von Gewebedefekten und Organdefizite, die im natürlichen Heilungsverlauf keine Restitutio erlauben. Die Verknüpfung von kultivierten, meist autologen Zellen, resorbierbaren Polymeren als Biomaterialien und Regulatoren erlaubt funktionstüchtiges Gewebe herzustellen, das annähernd die Eigenschaften des orginären Gewebes reproduziert und selbst Regenerationsprozesse induzieren kann. Die Abläufe dieser Interaktion von Zellen, Biomaterialien und Regulatoren verlaufen für verschieden Gewebe unterschiedlich unterliegen aber denselben biologischen Gesetzmäßigkeiten.

Tab 2 Zell-Matrix Interaktionen im Tissue Engineering

Gewebe Matrix Regulatoren Zellen
Dermis Kollagen-GAG FGF Fibroblasten
Knochen HA, TCP, DMBP BMP Knochenmarkzellen
Knorpel PGA, Kollagen, Hyaluronat BMP, CMP Knorpelzellen
Sehne Kollagenfasern FGF Fibroblasten
Meniskus Kollagen FGF Fibrochondroztyten

Prinzipiell können Gewebe invitro unter bestimmten Kulturbedingungen in Matrices hergestellt werden und in der Folge implantiert werden, oder es werden zellaugmentierte Matrices implantiert die vor Ort invivo den Regenerationsprozeß ermöglichen. Die Entwicklung dieser Methoden steht sicher erst am Anfang und bedarf neben intensiver Forschung auch kritischer Analyse und Korrektur. Die Zukunftsvision des Organersatzes aus der Eprouvette erscheint möglich ist aber noch ein weiter Weg.

 

Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer
Universitätsklinik für Orthopädie Universität Wien, AKH, Währingergürtel 18-20, A 1090 Wien
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